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Datum: 01.04.2024

Widerspenstige Steinheimer Wehrpflichtige

Steinheim war von 1807 bis 1813 Teil des von Napoleon gegründeten „Königreich Westfalen“, zu dem auch die Distrikte Höxter, Paderborn und Kassel gehörten, wobei letztere Stadt Sitz der königlichen Verwaltung war. Der Steinheimer Bürgermeister wurde nun Orts-Maire genannt, ein Amt das Werner Kleinschmidt bis 1810 innehatte. Sein Nachfolger wurde Franz Joseph Vahle, der bis 1830 für 20 Jahre der Stadt als Bürgermeister diente.

Akte Conscribierte 1810-1814
Akte Conscribierte 1810-1814

Eine der bedrückendsten Neuerungen dieser Zeit war die sogenannte Conscription, d.h. die zwangsweise Aushebung der jungen Männer zum Militärdienst in der französischen Armee. Jeder junge Mann im Alter von 20 bis 25 Jahren war der Conscription unterworfen. Einzig Söhne von Familien, die elternlose, mündige Geschwister zu versorgen hatten, waren vom Militärdienst befreit; gleichfalls konnten Söhne von reichen Familien einen bezahlten Stellvertreter benennen. So hatte etwa der wohlhabende Steinheimer Kaufmann Christian Lammers einen bezahlten Conscribierten für sich gestellt und konnte deshalb weiterhin seinen Geschäften nachgehen.

Viele junge Männer versuchten jedoch der Conscription zu entkommen, zumal die napoleonischen Kriege hohe soldatische Verluste mit sich brachten. Deswegen gab es auch viele Deserteure in der Armee. Das Stadtarchiv bewahrt eine Reihe von Dokumenten, die diese Epoche beleuchten, unter anderem die „Acta Deserteures und widerspenstige Conscribirte betreffend 1810-1814“ (Karton 72). Für die Aufstellung der Conscriptions-Listen war in Steinheim der Orts-Maire zuständig. Die zur Aushebung anstehenden Jahrgänge wurden nach den Geburtsregistern in den Kirchenbüchern zusammengestellt.

Am 21. Mai 1810 forderte der Maire des Cantons (=Landrat) den Orts-Maire von Steinheim Franz Joseph Vahle auf, alle widerspenstigen Conscribierte, die sich in Steinheim aufhielten, zu verhaften und nach Holzhausen abzuliefern. Dazu schickte er Vahle eine Liste der noch nicht abgelieferten Conscribierten und bat ihn, über Aufenthalt und Vermögen dieser jungen Männer genau Auskunft zu geben:
„Mein Herr Orts-Maire, Zurfolge eingegangener Verfügung ... fordere ich Sie hierdurch abermals auf, alle in Ihrer Commune sich noch aufhaltend verurtheilte widerspenstige Conscribierte angesichts dieser zu arretieren und hieher abliefern zu lassen. Ich theile Ihnen zu diesem Behuf ein Verzeichnis der aus Ihrer Commune noch nicht abgelieferten verurtheilten Conscribierten in der Anlage mit, und ersuche Sie, mir über den Aufenthalt und Vermögens jedes Conscribierten die genausten Auskünfte zu geben und innerhalb 6 Tagen ... hierher einzusenden“.

Liste der gesuchten Conscribierte
Liste der gesuchten Conscribierte

In der Vahles Liste, die er dem Maire de Cantons von Borch übermittelte, erscheinen die Namen von acht Steinheimern:

  1. „Reineke, Joh. Ferd.: der Conscribierte ist todt, und der Vater desselben besitzt ein Haus und ... ist übrigens nicht sehr vermögend.
  2. Spilker, Ferdinand: ist seit 8 Jahren abwesend; der Bruder besitzt eine Mühle in Erbpacht und ist ziemlich vermögend.
  3. Hagedorn, Ant. Wilhelm: ist abwesend und dessen Aufenthaltsort unbekannt. Die Mutter besitzt ein Haus und 1 1/2 Morgen Land und ist unvermögend.
  4. Lammers, Johannes: ist nach Aussage der Mutter Soldat im 5. Regiment, 2. Bataillon, 1. Kompanie. Er besitzt ein Haus und 6 Morgen Land.
  5. Grolle, Heinrich: ist nach Aussage der Mutter seit 13 Jahren abwesend ...
  6. Schroeder, Heinrich: hält sich hier auf. Der Vater besitzt 1 Haus und 6 Morgen Land, ist übrigens nicht vermögend.
  7. Kropp, Bernt Joh.: hat bereits gedient ... hält sich hier auf, hat ein Haus und 3/4 Morgen Land.
  8. Linnenbrink, Conrad: dessen Aufenthalt ist unbekannt, und besitzt derselbe 2 kleine Häuser und 3 ½ Morgen Land, hat aber auch ziemlich viele Schulden“.

Auf Anordnung von Vahle musste Pastor Köchling während des Gottesdienstes den Steinheimern verkünden, dass es bei Strafe verboten sei, Deserteure oder widerspenstige Conscribierte zu beherbergen, bewusst zu verstecken oder in Arbeit zu bringen. Was gefaßte Deserteure zu erwarten hatten, bezeugen erschütternde Todesurteile durch das Special-Kriegsgericht zu Cassel vom 4. Mai 1813 gegen den Steinheimer Grenadier Anton Rode, geboren am 9. Januar 1792, desertiert am 24. April 1813 sowie gegen den Train-Soldaten (d.h. ein Soldat im Transportwesen) Johann Georg Anton Flügel aus Ottenhausen, geboren am 3. November 1793 und am 24. April desertiert (Karton 193). Beide wurden nach Anhörung zum Tode durch Erschießen verurteilt.

Die Jagd auf die widerspenstigen jungen Männer ging jedoch auch in den folgenden Jahren unter preußischer Regierung weiter, wie die jährlichen Listen des Bürgermeisters zeigen, welche in einer weiteren Akte im Stadtarchiv dokumentiert sind.