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Datum: 01.09.2023

Steinheimer Polizeiwesen von 1810 bis 1830

Eine spannende Akte im Stadtarchiv Steinheim (Karton 452) umfasst Polizeiangelegenheiten aus den Jahren 1810 bis 1815. Steinheim gehörte von 1806 bis 1815 zum französischen Königreich Westfalen, weshalb die Briefe in diesem Zeitraum an den Canton Maire gerichtet waren. Erst nachdem die Stadt 1815 auf dem Wiener Kongreß wiederum an Preußen gefallen war, stand abermals ein „Bürgermeister“ der Stadt vor, der zu dieser Zeit Franz-Joseph Vahle (1810 bis 1830) hieß. Steinheim hatte damals knapp 2.000 Einwohner. Die Akte gewährt uns einen Einblick in die Vergehen, für welche die Menschen vor über 200 Jahren angeklagt und bestraft wurden, sie vermittelt uns sozialhistorische Erkenntnisse über das damalige Alltagsgeschehen und berichtet über berührende Einzelschicksale.

Akte über das Polizeiwesen in den Jahren 1810 bis 1830
Akte über das Polizeiwesen in den Jahren 1810 bis 1830

Auffällig sind zunächst die zahlreichen Unterhaltsklagen lediger Mütter. Die Wahrung der Rechte für die unehelich geborenen Kinder lag dabei beim jeweiligen Magistrat der Stadt. Die Väter waren neben Handwerksgesellen oft Soldaten: „Ein gewisser Henrich Kayser vom 5. Westfälischen Landwehr-Infanterie Regiment aus Steinheim ist der Vater der am 13. Jan. 1815 geborenen unehelichen Tochter Maria Catharina. Ihr sind die Verhältnisse desselben nicht bekannt“. Da die Gemeinde Rietberg die Rechte des Kindes wahrnahm, erging ein Ersuchen an den Canton-Beamten in Steinheim um Auskunft: „Wer dieser Henrich Kayser und ob er im Stande sey zu den Unterhaltskosten beizutragen“.

Für die Not lediger Mütter ist besonders der Fall der Caroline Jürgens bezeichnend. Diese hatte im Herbst 1822 den Soldaten Müller in Holzhausen, wo sie als Magd diente, kennengelernt. Als sie schwanger geworden war, wurde sie nach damaligem Recht ausgewiesen und gebar ihr Kind in Steinheim: „Die Caroline Jürgens aus Steinheim ist während ihrer Anwesenheit als Magd in der Dorfschaft Holzhausen von einem hiesigen Soldaten namens Müller geschwängert worden und hat nach derer Entfernung von hier ein Kind geboren, welches 12 Wochen alt sein soll“. Der Soldat wurde auf Unterhalt verklagt, war jedoch ohne Vermögen. Wohl verzweifelt trug Caroline ihr Kind nach Pyrmont und setzte es dort aus. Doch schon am nächsten Tag schrieb das Oberjustizamt Pyrmont an Bürgermeister Vahle: „Wir sehen uns daher veranlasst, dieses Kind wohllöbliche Magistrat in Steinheim, um solches der Mutter zustellen zu lassen, zuzusenden“.

Darüber hinaus sind Fälle von Veruntreuung, Diebstahl, Störung der öffentlichen Ordnung und ähnliches in der Akte verzeichnet. So etwa der Raub von Leder im Jahre 1824: „Zwischen dem Schuhmacher Christoph Kayser und dem Lohgärber (d.h. Loh-/Rotgerber) Franz Grolle ist ein Prozeß anhängig, worin letzterer dem ersteren den Vorwurf macht, dass er bey ihm Leder gefunden, welches ihm gestohlen sey“. Grolle hatte deshalb bei Bürgermeister Vahle Anzeige erstattet, und das Land- und Stadtgericht in Nieheim forderte deshalb die polizeilichen Akten bei diesem an.

Bei der nächsten Anzeige muß man wissen, daß die Störung des sonntäglichen Gottesdienstes bei Strafe verboten war, weshalb die Anzeige des beliebten Steinheimer Pastors Köchling verständlich wird. Dieser schrieb am 16.11.1823 an Bürgermeister Vahle: „Das rege Aufsehen welches heute während der Predigt durch die Ehefrau des Heinrich Linnenbrick in hiesiger Kirche entstanden ist, wird Ihnen bekannt sein. Ich glaubte eine Ohnmacht habe dieselbe überfallen, allein es scheint mir, sie war betrunken“ ! Und er verlangte sodann eine Bestrafung der Ruhestörerin.

Eine Verurteilung ganz anderer Art mutet uns seltsam und doch zugleich modern an, da besagter Täter wegen Tabakrauchens in der Öffentlichkeit bestraft wurde: „Der Ackerknecht Johannes Grote in Diensten bey dem Ackerbürger Witthaupt ist am 23ten des Monats (d.h. im Februar 1819) wegen Tabakrauchens über die Straße angeklagt und in die gesetzliche Strafe ad 2 Reichstaler verurteilt worden“. Dazu muß man wissen, dass auf preußischem Gebiet ein Rauchverbot auf öffentlichen Straßen und Plätzen bestand, ein Gesetz, das vom preußischen König Friedrich dem Großen 1764 erlassen und erst 1848 aufgehoben wurde.

Beim nächsten Fall erregte ein von einer armen Dienstmagd getragener, kostbarer Siegelring das Mißtrauen der Behörden. Diese behauptete, daß sie den Ring von ihrem Verlobten erhalten hätte: „Bei der Untersuchung gegen die Dienstmagd Elisabeth Krenke wegen Veruntreuung hat sich ergeben, daß der Johann Spilker aus Steinheim ihr als seiner Braut den anliegenden Siegelring zum Geschenke gemacht hat“. Spilker hingegen sagte aus, dass er den Ring von seiner vor drei Jahren verstorbenen Frau erhalten hätte. Gendarm Grusky wurde daraufhin vom Bürgermeister Vahle beauftragt, die Mutter der Verstorbenen zu befragen. Diese verneinte jedoch, dass ihre Tochter jemals einen solchen Ring besessen hätte: „daß, da sie immer sehr nothdürftig hätten leben müssen, sie den Ring gewiß wurden verkauft haben“. Letztendlich wurde das Verfahren eingestellt, da sich der Aufenthaltsort des besagten Pärchens nicht mehr feststellen ließ.