In Steinheim stinkt es!
In einer Ackerbürgerstadt wie Steinheim gehörten vor den Häusern liegende Misthaufen noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zum alltäglichen Straßenbild, denn bis zur Einführung des Mineraldüngers war der Mist von Schwein, Pferd, Schaf und Huhn als Düngemittel ein wesentlicher Bestandteil der Landwirtschaft. Der „Misthaufen vor der Haustür“ war deshalb für viele Bürger, die ja zum überwiegenden Teil Ackerwirtschaft als Lebensunterhalt betrieben, eine Selbstverständlichkeit, obwohl von den Miststellen – insbesondere an heißen Tagen – ein ziemlich penetranter Geruch durch die Straßen der Stadt gezogen haben muß. Diese Art von Geruchsbelästigung stank – im wahrsten Sinne des Wortes – manchem Einwohner, und so konnten Misthaufen heftige Nachbarschaftsstreitigkeiten auslösen.
Ein diesbezüglicher Vorfall ist in einer Akte des Stadtarchivs (Karton 452/2) geschildert: „Die Beschwerde des Kaufmanns Müssen gegen den Brantweinbrenner Adolph Kluge zu Steinheim wegen Anlegung einiger Schweineställe auf einem Raume zwischen zwischen ihren Häusern betreffend“. Am 12. Juli 1828 hatte der Kaufmann Müssen gegen seinen Nachbarn, den Brantweinbrenner Adolph Kluge, beim Bürgermeister Vahle eine Beschwerde wegen Geruchsbelästigung eingereicht. Kaufmann Müssen wohnte in der Marktstraße 3 und Adolph Kluge in der Marktstraße 4. Beide Häuser lagen somit mitten im Stadtzentrum an prominenter Stelle gegenüber der Kirche und dem alten Rathaus, das damals noch an der Stelle stand, wo sich heute der Kump befindet. In unmittelbarer Nachbarschaft war das Haus des Apothekers Schlüters in der Marktstraße 1 (ehemalige Engel-Apotheke) gelegen, sowie das des Bürgermeisters Philipp Vahle in der Marktstraße 6, eine bevorzugte Wohngegend sozusagen. Aus dem noch original erhaltenen Steinheimer Einwohnerverzeichnis von 1846 bekommen wir auch einen Einblick in die Haushaltsgröße der beiden Kontrahenten, allerdings 18 Jahre nach dem Streit. Müssen, der 1846 57 Jahre alt war, bewohnte das Haus zusammen mit seiner Frau, einer Tochter und zwei Söhnen sowie zwei Knechten und zwei Mägden. Zum Zeitpunkt der Beschwerde 1828 war er also 39 Jahre alt. Adolph Kluge war 1846 bereits 75 Jahre alt und bewohnte mit seinem Sohn, der als Schankwirt den Beruf seines Vaters übernommen hatte, seiner Schwiegertochter und vier Enkeln sein Haus. Er war 1828 zur Zeit des Streites 57 Jahre alt.
Worum ging es nun in der Beschwerde? Streitpunkt war ein etwa vier Meter breiter Grundstückstreifen, der zwischen den Häusern des Müsse und des Kluge lag und dessen Besitzer Adolph Kluge war. Dieser begann 1828 auf dem bisher unbebauten Raum Schweineställe zu bauen, allerdings ohne der städtischen Behörde vorher eine Anzeige darüber gemacht zu haben. Gegen diese Bebauung ging sein Nachbar Müsse sehr energisch mit einem Beschwerdebrief an den Bürgermeister Vahle vor. Er argumentierte, daß es „ bei einer allenfalls vorzufallenden Feuersgefahr von bedeutenden Schaden sein könne, indem man nach Errichtung dieser Ställe durchaus nicht mehr mit den Feuerlöschgerätschaften zwischen diese Häuser kommen könne“ sowie, dass der Bau „wegen des von dem Miste der Schweineställe hervorbringenden Geruchs und Gestankes grade an der Marktstraße nicht wohl zuzulassen sein dürfe“. Weiterhin führte er an, da der Kluge zugleich die Postexpedition in Steinheim betreibe, es nicht selten der Fall sei, dass Durchreisende, insbesondere Brunnengäste nach Pyrmont, vor seinem Haus hielten. Für sie wäre es sehr unangenehm, wenn sie durch den Gestank des Ausflusses von den Schweineställen in Steinheim empfangen würden. Zusammenfassend hält Müsse fest: „Der Bau der Schweineställe zwischen den Häusern an der Marktstrasse sei nicht nur feuerpolizeilich widrig, sondern auch in höchsten Maße genant (d.h.peinlich)“.
Bürgermeister Vahle konnte – oder wollte – es sich jedoch mit keinem seiner beiden Nachbarn verscherzen, weshalb er den Beschwerdebrief mit einer eigenen Stellungnahme versah und an den Landrat von der Borch weiterleitete, damit dieser den Streit entscheiden sollte. Vahle stellte zwar die Notwendigkeit eines freien Raumes zur Bandbekämpfung heraus, bemerkte aber zur besagten Geruchsbelästigung: „Was jedoch die Angabe des Müssen wegen des stinkenden Ausflußes aus diesen Schweineställen betrifft, so muß ich bemerken, daß dieser wohl nicht so sehr in Betracht kommen dürfe, da ohnehin unmittelbar vor dem Raume eine Mistenstelle vorhanden ist“. Kluge sollte jedoch bis zur endgültigen Entscheidung durch den Landrat den Bau einstellen: „Bemerke ich, daß ich dem Kluge noch heute bekannt gemacht habe, daß gegen die Anlegung der Stallung in dem beschriebenen Zwischenraum Beschwerden eingegangen wären und er also mit der Arbeit bis zu erfolgter Entscheidung innehalten müße oder solche nur auf eigenen Gefahr fortsetzen könne“. Wie die Entscheidung des Landrates letztendlich ausgefallen ist, wissen wir wir leider nicht, da ein entsprechendes Dokument in der Akte fehlt.