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Hebammenwesen in Steinheim 1809-1850

Im 19. Jahrhundert lag die Geburtshilfe weitgehend in den Händen von Hebammen, die Frauen während der Schwangerschaft begleiteten und bei der Geburt Hilfestellung leisteten. Ein Arzt wurde nur in Notfällen hinzugezogen. Die Tätigkeit einer Hebamme war gesellschaftlich geschätzt und in damaliger Zeit ausschließlich Frauen vorbehalten. Hebammen wurden in der Regel vom örtlichen Magistrat ausgewählt und nach bestandener Prüfung in einer Hebammenschule und erteilter Approbation auch von diesem entlohnt.

Akte Hebammenwesen
Akte Hebammenwesen

Eine interessante Akte im Stadtarchiv Steinheim „Acta die Hebammen in Steinheim betreffend von 1809-1850“ gibt uns einen aufschlussreichen Einblick in das frühere Hebammenwesen in Steinheim. In dieser befinden sich Schreiben von Hebammen an den hiesigen Magistrat, Auswahlverfahren von Kandidatinnen, Auszüge von Geburtsregistern bestimmter Jahrgänge, Hebammensteuerlisten säumiger Zahler, Bescheinigungen zur Berufsausübung sowie Namen von Steinheimer Hebammen dieser Epoche.

1850 hatte Steinheim etwa 2.200 Einwohner, zwei praktizierende Ärzte sowie drei Hebammen, von denen eine jedoch bereits ein Alter von 75 Jahren erreicht hatte und die jüngste wiederum ihr Gehalt erst bekommen sollte, wenn die alte Hebamme ihr Amt aufgeben würde. Die Ausbildung zu einer Hebamme finanzierte grundsätzlich die Stadt, auf deren Kosten eine auserwählte Kandidatin zur Hebammenschule nach Paderborn zum Unterricht geschickt wurde: „Für die verstorbene Hebamme Walter werde die Ehefrau Müller, Theresa, geborene Manegold, in der Hebammenanstalt zu Paderborn auf Kosten hiesiger Stadt ausgebildet“ (Stadtchronik, 1864).

Die Kriterien für die Auswahl waren streng: Als Hebammenkandidatinnen kamen nur geistig gesunde, kräftige Frauen („sie muß einen gesunden, festen Längenbau haben“) idealerweise zwischen 18 und 30 Jahren in Betracht, die einen untadeligen, sittlichen Lebenswandel führten. In die engere Wahl kamen dabei Frauen, die möglichst schon Kinder geboren hatten, oft auch Witwen.
Nach bestandener Prüfung wurde die Hebamme von der Stadt bestellt und erhielt als erstes Hilfsmittel einen Schröpfapparat, den sie jedoch nur nach Anweisung eines Arztes einsetzen durfte, wie sie überhaupt dem örtlichen Arzt weisungsgebunden war: „Sämtliche Hebammenschülerinnen sollen, wenn sie nach vollendetem Lehrkursus die Anstalt verlassen, mit einem Schröpfapparat versehen sein, um nöthigenfalls in ihren betreffenden Gemeinden, welches sie hier erlernt haben, gleich ausüben zu können“.

Eine gute Ausbildung und Prüfung war wichtig: So wurde der Steinheimer Hebamme Witwe Wichers am 12.1.1809 ein Berufsverbot erteilt, da sie dem Magistrat noch kein Attest über ihre Qualifikation vorgelegt hatte. Diese wurde ihr jedoch kurze Zeit später, bereits am 16.1.1809, durch den Leiter der Hebammenschule Paderborn bescheinigt: „Sie dürfe bei leichten und auch bei schweren Geburten als approbierte Hebamme tätig zu werden“.

Allerdings gab es auch schon damals Klagen über eine unzureichende Vergütung der Geburtshilfe. Eine von der Stadt erhobene „Hebammensteuer“ sollte ein Basiseinkommen für die Hebammen sichern. Diese musste von Paaren bei der Trauung, respektive bei der Taufe eines Kindes entrichtet werden. Darüber hinaus erhielt die Hebamme für jede begleitende Geburt einen festgelegten Betrag. Trotzdem gab es wiederholt Beschwerden der zweitrangigen, oft jüngeren Hebamme. So brach bereits im Jahre 1812 ein Streit zwischen der erste Hebamme Wichers und der zweiten Hebamme Birkenfeld über das Gehalt aus: „Es ist unter den beiden Hebammen zu Steinheim wegen des von der Stadt selbigen auszuzahlenden Gehalts Unstimmigkeit entstanden“, da Frau Wichers 10 Reichstaler und Frau Birkenfeld nur 5 Reichstaler jährlich erhielten. Es blieb letztendlich bei dieser Regelung, da sich die Hebamme Wichers auf ein Versprechen des früheren Steinheimer Magistrats berufen konnte.

Einen weiteren Fall gab es im Jahre 1850, als die Hebamme Therese Bonsen am 16. Januar an den Steinheimer Magistrat schrieb: „daß ich während einen Zeitraum von zwei Jahren, wo ich meinen Examen als Hebamme abgelegt, nur erst 13 Geburten zu verhandhaben und Pflege gehabt habe, indes für mich ein schlechtes Einkommen gemacht, so daß es mir äußerst drückende Tage versetzt habe mit Ehren durchzukommen.“ Der kärgliche Verdienst von Therese Bonsen lag vor allem daran, dass die erste, ältere Hebamme bevorzugt wurde.

Spannungen zwischen der ersten und den nachgeordneten Hebammen, die bedeutende Nachteile in Kauf nehmen mussten, gab es von jeher. Im Jahre 1817 war Maria Anna Birkenfeld (47 Jahre alt/ Approbation 1812) die erste Steinheimer Hebamme. Als zweite Hebamme war Maria Eleonore Plückebaum (41 Jahre alt) in der Liste verzeichnet, jedoch mit der Bemerkung: „Dieselbe ist von der Stadt als 2te Hebamme angenommen, ist aber bis jetzt noch nicht approbiert und unterrichtet worden, bezieht aber sobald sie unterrichtet und approbiert ist ebenfalls von der Stadt jährlich 8 Reichstaler. Die erste Hebamme erhielt hingegen jährlich 10 Reichstaler sowie für jede Geburt weitere 12 Silbergroschen. 33 Jahre später wollte aber jene Eleonore Plückebaum, die in ihren jungen Jahren unter ihrem Status als zweite Hebamme gelitten hatte, keinesfalls ihre Tätigkeit als Hebamme im hohen Alter zugunsten der jüngeren, zweiten Hebamme Therese Bonsen aufgeben. Deshalb sah sich ein Bezirksarzt aus Minden gezwungen, am 15.1.1850 ein Brief an den Steinheimer Bürgermeister zu schreiben:

„Hochgeschätzter Herr Bürgermeister!
Die dortige Hebamme Therese Bonsen stellte mir bei meiner Anwesenheit in Steinheim ihre gedrückte Lage vor, da ihr die alte 80jährige Plückebaum, welche noch immer fungiere, das Brod nehme, so daß sie nicht auskommen könne, während die alte Plückebaum nicht ohne Vermögen sei und bei ihren Kindern gut fertig werden können.“

Des weiteren setzte er sich vehement dafür ein, dass Therese Bonsen die Stelle der 80jährigen Plückebaum übernehme, da die Stadt sie schließlich bereits zur Hebamme erwählt und hätte ausbilden lassen. Dieses ist leider das letzte Dokument in der Akte, und so erfahren wir leider nicht, ob die Hebamme Plückebaum ihre Stelle letztendlich doch noch freiwillig abgetreten hat.

01.06.2023