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Dr. Norbert Allnoch

Laudatio von Landrat Friedhelm Spieker

Preisverleihung Dr. Allnoch
Preisverleihung Dr. Allnoch
Sehr geehrter Herr Dr. Allnoch,
sehr geehrter Herr Bürgermeister Franzke,
meine Damen und Herren,
liebe Gäste!

Ich begrüße Sie alle ganz herzlich zur Verleihung der Reineccius-Medaille, vor allem die Familie von Herrn Dr. Allnoch, seine Freunde und Wegbegleiter.

Besonders begrüße ich zu der heutigen Ehrung den wissenschaftlichen Mentor und Doktorvater von Dr. Allnoch, Professor Julius Werner, der den Vordenker der wirtschaftlichen Windenergie-Nutzung schön früh gefördert und motiviert hat.

Seit 2008 verleiht die Stadt Steinheim die "Reiner Reineccius-Medaille" an Persönlichkeiten, die sich als Querdenker und Pioniere gegen den Zeitgeist behaupten und denen mitunter ein kräftiger Gegenwind ins Gesicht bläst.

Heute sind wir zusammen gekommen, um einen Forscher und Pionier zu ehren, der sich seit drei Jahrzehnten der Wertschöpfung regenerativer Energien widmet. Das ist mir eine besondere Freude. Denn unser Kulturland Kreis Höxter ist, wie Sie wissen, ausgewählte Bioenergieregion. Aufgrund unserer Erfolge wird dieses Projekt für weitere drei Jahre bis 2015 gefördert.

Meine Damen und Herren!

Menschen, die ihrer Zeit voraus sind, haben oft eines gemeinsam: ein Schlüsselerlebnis in der Kindheit oder Jugend, das für sie lebenslang Antrieb bleibt, aus dem sie Energie für ihre Arbeit schöpfen.

Die erste Ölkrise - viele von uns erinnern sich daran - schockte 1973 die Nation. Die Energiepreise stiegen sprunghaft an. Auf mehrspurigen Schnellstraßen fuhren Kinder mit Rollschuhen. Die Sonntagsfahrverbote machten für alle Deutschen schlagartig spürbar, dass die Energiefrage eine existentielle Frage ist. Das damalige Ölembargo der OPEC-Staaten führte den Industriestaaten deutlich vor Augen, wie sehr Wirtschaftskraft und Wohlstand vom Öl abhingen.

Der diesjährige Preisträger der Reineccius-Medaille, Dr. Norbert Allnoch, war damals gerade 15 Jahre alt. Er stellte seinem Vater die elementare Zukunftsfrage: Was wird aus uns, wenn Erdöl in Zukunft noch teurer wird oder gar nicht mehr sprudelt?
Der Vater antwortete, wie ich hörte, voller Zuversicht: Die Menschheit werde sich etwas einfallen lassen. Es werde weiter gehen. Da war der Pioniergeist, der Forscherdrang geweckt. Wir können sagen: Dr. Allnoch hat sich diese große Herausforderung für die Menschheit zur Lebensaufgabe gemacht.

In Münster studierte er Chemie, Geowissenschaften und Betriebswirtschaftslehre. Schon in der Fächerwahl wird deutlich, dass Norbert Allnoch ein Mensch ist, der über den Tellerrand hinaus schaut. Mit jugendlicher Unvoreingenommenheit suchte er nach einer bezahlbaren Energie der Zukunft und besuchte 1982 bei Prof. Julius Werner das Seminar „Nicht-fossile, nicht-nukleare Energiequellen".

Der junge Student überraschte den Seminarleiter mit einem Pressebericht über eine neue 20 Kilowatt-Windkraftanlage in Mettingen im Münsterland. Gemeinsam besuchten sie dieses erste private Windprojekt, das die erzeugte Energie in das öffentliche Stromnetz einspeiste.

Ein Erlebnis auf einer USA-Reise bestärkte ihn auf seinem Weg. Er hatte die Chance, die drei großen Windenergieanlagen des Flugzeugbauers Boeing zu bestaunen, über die er bereits in einer Fachzeitschrift gelesen hatte. Zur damaligen Zeit erbrachten die riesigen Rotoren die erstaunliche Leistung von je 2,5 Megawatt. Norbert Allnoch, damals 25 Jahre alt, erkannte darin nicht nur einen Lösungsweg für die drängenden Energieprobleme, sondern auch eine industriepolitische Option für den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Er sagte sich: Deutschland ist Weltmeister im Auto- und Maschinenbau. Warum wird Deutschland nicht auch Weltmeister beim Bau von Windkraftanlagen, um zukunftsfähige Arbeitsplätze zu sichern? Er wünschte sich einen ideologiefreien Blick
auf die wirtschaftlichen Chancen für das Industrieland. Mit dieser Perspektive war Norbert Allnoch in den 80er Jahren nicht nur Querdenker, sondern Vordenker.

Professor Julius Werner gründete die wissenschaftliche Arbeitsgruppe „Windenergie", die von Norbert Allnoch geleitet wurde. Zu ihren Aufgaben gehörte es zum einen,
Methoden zu erarbeiten, die Vorhersagen über die Wirtschaftlichkeit von Windenergieanlagen ermöglichen, und zum anderen, die Akteure in der jungen Branche zu beraten. Denn die ideologische Brille brachte keinen Durchblick.
Es kursierten abenteuerlichen Ertragserwartungen. Notwendig waren verlässliche Ertragsprognosen für vorgesehene Standorte von Windenergie-, Photovoltaik- und Solarthermie-Anlagen. In zahlreichen Publikationen richteten Professor Werner und sein damaliger Doktorand daher den Fokus auf das realistisch bewertete, wirtschaftliche Potenzial der neuen Energien.

Im Sommer 1983 ging an der Elbmündung in Schleswig-Holstein die größte Windenergieanlage der Welt in Betrieb. Das staatlich geförderte Riesenwindrad „Growian" war ein Hoffnungsprojekt der deutschen Forschung,
das sich als Fehlschlag erwies. Dennoch gilt es als wegweisend für die moderne Windenergie. Gerade bei Innovationen wird man auch aus technischen Schwächen klug.

1988 brachte das Land Nordrhein-Westfalen das WISTRA-Projekt auf den Weg. An 12 Standorten sollte die Windstromerzeugung erprobt und erforscht werden. Die wissenschaftliche Federführung übernahmen die Windkraftexperten aus Münster, Professor Julius Werner und Norbert Allnoch. Damit bekam die „Arbeitsgruppe Windenergie" starken Aufwind und leistete Pionierarbeit im Bereiche der windklimatologischen Grundlagenforschung.

Dr. Allnoch war überzeugt, dass die realistische Beurteilung eines zukunftsfähigen Standortes immer auch die Wirtschaftlichkeit mit einbeziehen muss. Für die aufstrebende Branche schuf Dr. Allnoch den ökonomisch orientierten Begriff der „Regenerativen Energiewirtschaft".

Seine Doktorarbeit widmete sich folgerichtig der systematischen Standort­bewertung für Windkraftanlagen. Sein fächerübergreifendes Vorgehen war in der damaligen Forschungslandschaft alles andere als stromlinienförmig.
Er brachte Ökologie und Ökonomie zusammen. Die umwelt- und die industriepolitische Betrachtung der regenerativen Energieversorgung, also Klimaschutz und Wirtschaft, bildeten für ihn zwei Seiten derselben Medaille.

Um Marktanalysen zum Potential regenerativer Energien auf eine gesicherten Datenbasis zu erstellen, baute er die erste deutschlandweite Standort-Datenbank für Windkraftanlagen auf.

Mit seinem interdisziplinären Ansatz galt er in Wissenschafts-Kreisen im besten Sinn des Wortes als Querkopf, als Querdenker. Denn die Wirtschaftswissenschaften und die Naturwissenschaften sind nicht nur in getrennten Fakultäten beheimatet, sie bilden auch zwei unterschiedliche Forschungswelten. Dr. Allnochs ganzheitlicher Blick auf ein komplexes Themenfeld erwies sich jedoch als außerordentlich erfolgreich und wegweisend.

In der Folgezeit erstellte er zahlreiche Studien und Gutachten zur Windkraftnutzung. Es würde den Rahmen sprengen alle Arbeiten aufzuzählen. Daher nenne ich nur eine kleine Auswahl:
  • das Gutachten „Zur Lage der Windkraftnutzung in Deutschland 1994/95"
  • die Studie zur „Lage der Regenerativen Energiewirtschaft in NRW" im Auftrag des Landes Nordrhein-Westfalen
  • die ersten deutschen Leitstudie zum „Klimaschutz durch Nutzung erneuerbarer Energien", die übrigens Dr. Angela Merkel in Auftrag gab, als sie noch Bundesumweltministerin war
  • das weltweit erste Szenario zur Entwicklung der regenerativen Energien bis zum Jahre 2010, das die guten globalen Marktperspektiven für Unternehmen aufzeigt.
1996 gründeten die Universität Münster und Dr. Allnoch unter dem Dach des Fachbereichs Geowissenschaften das Internationale Wirtschaftsforum „Regenerative Energien" als Spin-Off-Unternehmen. Es eröffnete den Freiraum zur interdisziplinären Arbeit an der Weiterentwicklung einer „Regenerativen Energiewirtschaft" für die drei Bereiche Strom, Wärme und Treibstoffe. Das interdisziplinäre Wirtschaftsforum machte sich schnell einen Namen als eine unabhängige Institution für Forschung, Wirtschafts- und Politikberatung auf dem Gebiet der Regenerativen Energiewirtschaft.

Es war wohl nicht zuletzt das Streben des Energie-Pioniers nach wissenschaftlicher und politischer Unabhängigkeit, das ihn spätestens seit Beginn dieses Jahrhunderts zu einem international gefragten Berater und Referenten machte. Mit Vorträgen ist er weltweit unterwegs.

Innovativ war auch die offensive und moderne Öffentlichkeitsarbeit. Schon 1995 schuf Dr. Allnoch ein Internet-Portal zur „Regenerativen Energiewirtschaft". Das Uni-Rechenzentrum staunte und stöhnte seinerzeit über diese neuartige „Nutzlast". Denn die stark steigenden Seiten-Aufrufe testeten zeitweilig die Belastungsgrenze
des Universitäts-Webservers. Zügig wuchs das Internet-Portal zu der heute weltweit bekannten Branchenplattform „Die Business-Welt der Regenerativen Energie­wirtschaft". Nach dem GAU in Fukushima, in dessen Folge sich ein Umdenken beschleunigte, verzeichnete die Plattform einen Besucherrekord mit 50.000 Aufrufen an einem Tag.

Dr. Allnoch erwies sich auch für die Welt der Wirtschaft als Pionier. In Anlehnung an den Ifo-Geschäftsklima-Index entwickelt er ein Wirtschaftsbarometer für die regenerative Branche, den IWR-Geschäftsklima-Index. Für Aktionäre und Investoren schuf er einen speziellen Börsen-Index für Aktien in der Branche der erneuerbare Energien. 2007 startete er den Monatsreport „Regenerative Energiewirtschaft" mit aktuellen Wirtschaftsinformationen rund um die erneuerbaren Energien.

Auch das Kyoto-Protokoll zum Klimaschutz nahm er unter die Lupe. Wieso geht es nicht voran? Aus seiner Sicht lag das Hauptproblem in der Verpflichtung
der Staaten, CO2-Obergrenzen einzuhalten. Industriestaaten mit einem hohen CO2-Ausstoß werden an den Pranger gestellt. Dr. Allnoch sieht darin einen Holzweg, weil es auch um Arbeitsplätze und Wirtschaftsentwicklung geht. Er konzipierte einen anderen Weg. Er hält es für klüger und motivierender, wenn als Ausgleich
für die CO2-Emissionen eines Landes auch die Investitionen in regenerative Anlagen stärker berücksichtigt würden. Damit stünden Länder mit einem hohen Anteil an
Sonnen-, Wind- und Bioenergie - wie Deutschland - besser da.

Ob diese aktuelle Idee des Querdenkers Dr. Allnoch aufgegriffen wird, ist noch offen.

Ein weiteres innovatives Konzept verfolgt Norbert Allnoch mit der Idee eines Masterplans für die Analyse eines Wirtschaftsstandorts. Nach seinen Vorstellungen sollte er die folgenden vier Leitparameter umfassen: 1. „Energie und Umwelt", 2. „Wirtschaft, Standort und Struktur", 3. „Wissenschaft und Forschung" sowie 4. „Aus- und Weiterbildung"

Sie sehen, meine Damen und Herren, ganz im Sinne von Reineccius ist Dr. Norbert Allnoch ein wahrhafter Pionier in seinem Fachgebiet, das er mit quergedachten Ideen und Problemlösungen voran gebracht hat.

Schon 1999 erhielt er für seine überragenden Verdienste um die ganzheitliche Darstellung der Industriebranche „Regenerative Energien" im Internet den renommierten „Europäische Solarpreis".

Mit seinem erfolgreichen Wirken auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien ist er auch Vorbild für unsere Bioenergieregion. Im Energiesektor unseres Kulturlandkreises Höxter vollzieht sich ein konsequenter Wandel. Schon jetzt werden faktisch 30 Prozent des Wärmebedarfs und bilanziell 45 Prozent des kreisweiten Strombedarfs aus erneuerbaren Energien gedeckt. An dieser Entwicklung haben nicht nur die direkt beteiligten Akteure Anteil, sondern auch die Bürgerinnen und Bürger unseres Kreises.

Bei der nächsten Sitzung des Fördervereins ReBio e.V. am Montag, 5. November 2012, um 18.00 Uhr in der Landwirtschaftskammer in Brakel stellt Rainer Suhr von den Stadtwerken Bad Driburg das Genossenschaftsmodell „Energie für den Kreis Höxter eG" vor. Unter dem Motto „Gemeinsam mehr erreichen" hat sich die Genossenschaft gegründet, deren Mitglieder von der Errichtung und Unterhaltung regenerativer Energieanlagen profitieren wollen.

Sehr geehrter Herr Dr. Allnoch, zu dieser nachhaltigen Entwicklung haben Sie Überragendes beigetragen. Es ist mir eine Freude und Ehre, Ihnen für Ihre außerordentlichen Verdienste die Reineccius-Medaille der Stadt Steinheim zu verleihen.

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